An der Grenze der Nierendiät

Katzen mit chronischer Nierenerkrankung (CNE) verlieren durch die Erkrankung zunehmend an Gewicht und mergeln aus. Starker Gewichtsverlust kann zu einer höheren Sterblichkeitsrate bei CNE-Katzen beitragen (s. Blog-Beitrag „Der Stein der Leisen“) und insgesamt auch den Zustand der Katze verschlechtern. Da Katzen reine Fleischfresser sind, verdauen sie ihre eigene Muskulatur, wenn sie nicht genügend Proteine über das Futter aufnehmen. Dann kommt es zum Muskelabbau.

 

Neue Studie zu Nierendiät

Eine amerikanische Studie für und mit dem Diätfutterhersteller Hills hat ein neues Ergänzungsmittel (= Zusatzfuttermittel oder Zusatz) zusätzlich zu ihren bestehenden Nierendiät verwendet. Dieser Futterzusatz besteht aus 0,5% Betain und Präbiotika und wurde sowohl bei gesunden als auch bei Katzen mit CNE (Stadium 1 und 2) in Kombination mit Hills Nierendiät-Trockenfutter eingesetzt. Bei den sieben CNE-Katzen, die diese Kombination über 8 Wochen erhielten, zeigte sich ein positiver Unterschied im Gewicht der Katzen gegenüber der Phase, in denen sie den Zusatz nicht erhielten, sondern nur das Nierendiät-Trockenfutter (= Nierendiät). Bei gesunden Katzen wurde dieser Unterschied nicht nachgewiesen. Allerdings zeigten sich auch, dass sowohl CNE wie auch gesunde Katzen zunächst unter der Verfütterung des Diätfutters an Gewicht verloren und erst mit dem Zusatz des Ergänzungsfuttermitteln die CNE-Katzen wieder auf ihr Ausgangsgewicht bzw. die gesunden Katzen auch etwas darüber zurückkehrten.

 

Betain

Betain ist eine Ammoniumverbindung, die sich aus der Aminosäure Glycin herleiten lässt. Es kommt in verschiedenen Gemüsen (Spinat, Zuckerrüben, Rote Bete, Weizen) und Meeresfrüchten (z.B. Miesmuscheln und Krabben) vor. In der Humanmedizin wird Betain im Zusammenhang mit Therapien gegen kardiovaskuläre Erkrankungen und eine angeborene Störung des Aminosäurestoffwechsels (= Homocystinurie) und möglicherweise auch bei Fettstoffwechselstörungen (hier liegen nur wenige Daten vor) verwendet, gerade auch im Zusammenhang mit unterschiedlichen B-Vitaminen (Folsäure, B6, B12).

Die auftretenden Nebenwirkungen werden wie folgt beschrieben:

  • Appetitlosigkeit,
  • Unruhe,
  • Schlafstörungen,
  • Hirnödem,
  • Psychische Veränderungen wie Depression und Persönlichkeitsstörungen,
  • Übelkeit,
  • Erbrechen,
  • Durchfall,
  • Magenbeschwerden,
  • Zahnbeschwerden,
  • ungewollter Harnabsatz,
  • Hautveränderungen,
  • Haarausfall

und einige mehr. Es ist nicht bekannt, ob Betain krebsauslösend ist, daher darf es bei Menschen in der Schwangerschaft und in der Stillzeit nicht eingesetzt werden. Es gibt einige wenige (Labor-)Studien aus dem Leistungssport, wo hohe Dosierungen an Betain leistungsfördernd wirken und zu einer erhöhten Muskelleistung bzw. zum Muskelaufbau beitragen kann. Die Gruppe der Betaine wird in der Kosmetikindustrie als Emulgatoren verwendet. Die Autoren berichten, dass bislang beim Menschen mit Betain keine Gewichtszunahme erreicht werden konnte.

 

Präbiotika: Nahrung für die Darmbakterien

Präbiotika oder Prebiotika sind pflanzliche Stoffe, die für den Menschen unverdaulich sind (Ballaststoffe). Sie werden aber von den gewünschten Darmbakterien im Dickdarm abgebaut und dienen ihnen als Nahrung. Dadurch unterstützen Präbiotika die natürliche Darmflora (Darmflora = intestinale Mikrobiota). Durch den Abbau der Pflanzenstoffe werden kurzkettige Fettsäuren gebildet, die wiederum positive Wirkung auf die Darmgesundheit (Förderung des sauren Darmmilieus, Ernährung der Darmzellen, Förderung der natürlichen Darmbewegung) haben. Zu den Präbiotika gehört Inulin sowie die Kohlenhydrate Frukto-Oligosaccharide (FOS) und Galakto-Oligosaccharide (GOS).

Inulin und FOS finden sich in unterschiedlichen Pflanzen und Gemüsen wie Topinambur, Artischocken, Chicorée, Lauch, Knoblauch, Zwiebeln, Weizen, Roggen, Schwarzwurzeln und grünen (= unreifen) Bananen.

GOS wird v.a. über die Muttermilch in hohen Konzentrationen an das Tier abgegeben. In dem o.g. Ergänzungsfuttermittel sind kurzkettige (= short chain oder sc) Frukto-Oligosaccharide (= scFOS) in 0,487% und langkettige Beta-Glucane (0,586%) aus Weizen enthalten.

Beta-Glucane kommen in verschiedenen Getreidesorten wie z.B. Hafer, Gerste, Roggen und Weizen, Bakterien, Pilzen, Algen und Hefen vor. Sie stellen natürliche Bestandteile der Zellwand dar. Wobei Weizen den bei weitem niedrigsten Beta-Glucan-Gehalt aufweist.

Auch Beta-Glucane sind Nahrung für die Dickdarm-Mikroben. Die gewünschten Darmbakterien bauen Beta-Glucane zu kurzkettigen Fettsäuren um. Beim Menschen beruht die gesundheitliche Wirkung von Beta-Glucanen v.a. auf dem Zusammenspiel weiterer Inhaltsstoffe der o.g. Getreide und kann nicht durch Nahrungsergänzungsmittel mit isolierten Beta-Glucanen erzielt werden.

 

Crossover Versuchsaufbau

Der o.g. Versuch wurde so durchgeführt, dass alle Katzen (Versuchskatzen und Kontrollkatzen) zunächst in einer Vorphase das Nierendiät-Trockenfutter über einen Zeitraum von 4 Wochen erhielten. Dann wurden die 7 Katzen mit CNE (= Versuchskatzen) in zwei Gruppen zu 3 bzw. 4 Tieren aufgeteilt. Die erste Gruppe (3 CNE-Katzen) erhielten weiterhin über 8 Wochen nur die Nierendiät, die zweite Gruppe (4 CNE-Katzen) erhielt Nierendiät plus den Futterzusatz ebenfalls über 8 Wochen. Danach erhielt die erste Gruppe über 8 Wochen Nierendiät und den Futterzusatz und die zweite Gruppe ebenfalls über 8 Wochen nur die Nierendiät. Es wurde also nach 8 Wochen getauscht.

Die 16 gesunden Katzen (= Kontrollgruppe) erhielten über 1 Woche Nierentrockenfutter (= Nierendiät) und danach erhielten 8 Katzen über weitere 8 Wochen nur die Nierendiät und 8 Katzen über 8 Wochen die Nierendiät mit dem Futterzusatz.

 

Versuchsaufbau der Studie
Versuchsaufbau der Studie

 

Verschlechterung unter Nierendiät?

Interessant ist, dass die CNE-Katzen vor der ersten Fütterungsphase ein durchschnittlich höheres Gewicht hatten, als während der Verfütterung der Nierendiät. Obwohl sie von der Nierendiät mehr gefressen haben als sie vorher gefressen haben. Gleiches gilt auch für die gesunden Katzen.

Zusätzlich zeigten die Katzen vor der Verfütterung durchschnittlich „bessere“ Nierenwerte im Blut und Urin (im Blut: Harnstoff, Kreatinin, SDMA; im Urin: Spezifisches Harngewicht, UPC) als bei Verfütterung der Nierendiät allein.

Unter Verwendung von Nierendiät und dem Futterzusatz kehrten die meisten Nierenwerte (bis auf SDMA) wieder auf ihren ursprünglichen Wert zurück. Ebenso wie das Gewicht.

 

Schleichende Verschlechterung

Es gilt dabei zu beachten, dass eine CNE bei der Katze zu einer schleichenden Verschlechterung der Nierenwerte und auch zu einer schleichenden Gewichtsreduktion führen kann. Dieser progressive Verlauf ist insbesondere in den späten Stadien bereits über Wochen und Monate zu befürchten.

Im Stadium 1 und 2 ist mit einer deutlich längeren Konstanz der Werte über Monate und Jahre zu rechnen. Alle CNE-Katzen des Versuches befanden sich in Stadium 1 und 2. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Nierenwerte und auch das Gewicht der CNE-Katzen im Zeitraum des Versuches auf Grund des Fortschreitens der CNE verschlechterten. Der Effekt der Gewichtsreduktion war allerdings auch bei den gesunden Katzen, die Nierendiät erhielten, sichtbar. Allerdings nicht statistisch signifikant, wie bei den CNE-Katzen.

 

Die Katzen der Studie zeigten unter alleiniger Fütterung der Nierendiät Gewichtsverlust
Die Katzen der Studie zeigten unter alleiniger Fütterung der Nierendiät Gewichtsverlust

Gleichzeitig zeigte sich bei den CNE-Katzen, die den Futterzusatz und Nierendiät erhielten, dass sie höhere Blutwerte an Abbauprodukten von Tryptophan hatten. Hier gibt es leider keinen Vergleich zu den Werten vor dem Fütterungsversuch.

Von den Darmbakterien (=Mikroben) wird aus der Aminosäure Tryptophan das s.g. Indol gebildet. Anschließend wird Indol vom Darm ins Blut aufgenommen. Über das Blut gelangt Indol zur Leber, wo aus Indol das urämische Toxine Indoxylsulfat gebildet wird, das über die Nieren ausgeschieden werden muss. Erhöhte Konzentrationen an Indoxylsulfat im Blut von CNE-Katzen führen zu einer verringerten Nierenleistung.

Bei der Verfütterung von Nierendiät plus Futterzusatz an CNE-Katzen zeigte sich eine verringerte Ausscheidung von Indol-Metaboliten mit dem Urin. Bei den gesunden Katzen führte die Fütterung des Zusatzes zu einer Reduktion von para-Kresylsulfat. Para-Kresylsulfat gehört wie Indoxylsulfat zu den durch Darmbakterien gebildeten urämischen Toxinen, die bei der chronischen Nierenerkrankung nicht ausreichend ausgeschieden werden und dann im Blut zurück stauen. Beide urämischen Toxine haben direkte Schadwirkungen an den Nieren und können dadurch die Sterblichkeitsrate erhöhen. Zudem sind sie für vielerlei Symptome im Zusammenhang mit der CNE verantwortlich, da sie sich auch in anderen Organen ablagern und dort zu einer Schadwirkung führen.

Indoxylsulfat ist u.a. auch für ein Ungleichgewicht (Dysbiose) der Darmbakterien verantwortlich, wobei schädliche Darmbakterien überwiegen. Es kommt dabei zu einem „Überwuchern“ solcher Mikroben, die Tryptophan zu Indol umbauen. Dabei werden die gesunden Darmbakterien weiter zurückgedrängt (s.  Blog-Beitrag „Dysbiose – die Verwilderung des Mikrobengartens“).

 

Ergebnisse

Die gleichzeitige Fütterung von Diät-Trockenfutter mit dem o.g. Futterzusatz aus Betain und Präbiotika hat einen positiven Effekt auf das Gewicht der CNE-Katze im Vergleich zu einer reinen Fütterung des Nierendiät-Trockenfutters. Allerdings zeigt der Vergleich zum Ausgangswert vor der Verfütterung, dass die Nierendiäten zu einem verringerten Gewicht führen. Und das obwohl von der Nierendiät als auch von der Kombination sowohl von den CNE-Katzen als auch von den gesunden Katzen eine größere Menge gefressen wurde, als die Katzen vor dem Fütterungsversuch zu sich genommen haben.

Die Autoren berichten, dass die Zusammensetzung der Abbauprodukte aus dem Proteinstoffwechsel im Kot der CNE-Katzen bei Verfütterung der Kombination, im Vergleich zum Nierenfuttermittel allein, verändert war. Diese Veränderung deuten die Autoren als Zeichen einer positiven Veränderung der mikrobiellen Aktivität. Allerdings war der Anteil der Tryptophan-Abbauprodukte im Kot bei den CNE-Katzen, die die Kombination erhielten, erhöht. Katzen, die Nierendiät und den Futterzusatz erhielten, zeigten eine verringerte Ausscheidung an Indoxylsulfat über den Urin. Dies werten die Autoren als positives Zeichen einer verbesserten mikrobiellen Aktivität, Darmgesundheit bzw. Nierenfunktion. Leider gibt es keinen Vergleich zwischen den entsprechenden Werten bei Verfütterung nur der Nierendiät und den vergleichenden Wert vor Verfütterung des Nieren-Trockenfutters. Es wäre theoretisch möglich, dass die Verfütterung des Nierendiät-Trockenfutters schon zu schlechteren Werten gegenüber den Werten vor dem Fütterungsversuch geführt hat. Dies bleibt jedoch ungeklärt.

Andererseits sind Nierendiäten so konzipiert, dass sie weniger Proteine enthalten, um die urämischen Toxine zu reduzieren, da Proteine die Ausgangsbasis urämischer Toxine darstellen. Tryptophan jedoch ist eine essentielle Aminosäure, die im Futter enthalten sein muss. Daher wäre ein Vergleich gegenüber dem Ausgangswert vor Verfütterung der Nierendiät und nicht nur zwischen Nierendiät und der Verfütterung der Kombination zumindest interessant.

Auch ist theoretisch möglich, dass aufgrund der verringerten Ausscheidungskapazität bei der CNE weniger Indoxylsulfat über die Nieren ausgeschieden wird, dafür aber mehr Indoxylsulfat im Blut verbleibt und sich dann in den Organen und den Nieren ablagert. Diese Werte werden in der Veröffentlichung nicht angegeben. Letztlich handelt es sich bei allen Werten um Durchschnittswerte von 7 CNE-Katzen in frühen IRIS-Stadien 1 und 2. Ob die verringerte Ausscheidung für alle Katzen zutrifft, ist in der Veröffentlichung nicht dargestellt. Hier kann es hohe individuelle Schwankungen geben. Es gibt zudem keinen Vergleich zu den gesunden Katzen und auch bei den gesunden Katzen gibt es in der Veröffentlichung keine Information zum Ausscheidungsverhalten von Indoxylsulfat vor bzw. nach der Fütterung von Nierendiät bzw. der Kombination.

 

Bislang gibt es noch keine Veröffentlichungen zum Einsatz der o.g. Kombination bei CNE-Katzen im späten IRIS-Stadien 3 & 4. Zudem ist fraglich bzw. umstritten, nierenkranken Katzen Trockenfutter als Alleinfutter anzubieten, da CNE-Katzen möglichst viel Feuchtigkeit zugeführt werden sollte. Die Studie zeigt auch, dass das verwendete Nieren-Trockenfutter allein nicht ausreicht, um bereits in frühen CNE-Stadien eine deutliche Reduktion urämischer Toxine zu erreichen. Auch ist nicht bekannt, ob der Futterzusatz allein die in der Studie erzielten Effekte erreicht und beispielsweise auch in normalem Katzenfutter verabreicht werden kann.

 

Um die urämischen Toxine zu reduzieren, sind Nierendiäten wie oben beschrieben proteinreduziert. Allerdings ist die Proteinreduktion bei einem obligaten Fleischfresser wie der Katze begrenzt. Nimmt die Katze nicht genügend Protein über das Futter auf, so verdaut sie ihre eigene Muskulatur, was auch an einem Anstieg von Kreatinin im Blut sichtbar wird. Die Proteinreduktion kann zusätzliche Probleme erzeugen, da sie eine Hyperphosphatämie (s. Blog-Beitrag „Phosphat im Visier der CNE“) begünstigt, die zu einem weiteren Teufelskreis der Nierenzerstörung führen kann.

 

Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass es zusätzlich zu den Nierendiäten neue Wege in der Behandlung der CNE geben kann und dass urämische Toxine neben Nierendiäten auf alternativen Wegen reduziert werden können und sollen, um das Fortschreiten der CNE zu verlangsamen. Ein weiterer Ansatz zur Reduktion urämischer Toxine – unabhängig von der Art der Fütterung – ist ein spezieller Hochleistungs-Adsorber, der nur auf die Reduktion urämischer Toxine ausgelegt ist. Mehr dazu ist in meinem Blog-Beitrag „Lehren aus der Humanmedi- ziehen“ nachzulesen.

 

 

Quellen:

  • Hall, J. A.; Jewell, D. E. & Ephraim, E. (2022): Feeding cats with chronic kidney food supplemented with betaine and prebiotics increases total body mass and reduces uremic toxins, PLoS ONE 17(5): e0268624. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0268624 , S. 1–19.

Betain bzw. Betaine

Präbiotika:

Beta-Glucane: