Urämische Toxine

Wenn die Nierenfunktion nachlässt, steigen die Konzentrationen der urämischen Toxine wie Indoxylsulfat an, was einen sich selbst verstärkenden Kreislauf in Gang setzt, der zu einer fortschreitenden Beeinträchtigung der Nierenfunktion führt.

Wie entstehen urämische Toxine?

Urämische Toxine sind Abbauprodukte des Stoffwechsels, die bei einer Anreicherung im Körper Schadwirkungen zeigen können. Es gibt eine Vielzahl solcher urämischen Toxine. Zwei sehr bekannte Urämietoxine sind Indoxylsulfat und para-Kresylsulfat. Beide entstehen durch die mikrobielle Verdauung von Proteinen und stellen somit giftige Abbauprodukte der Proteinverdauung dar.

Proteine bestehen aus Aminosäuren. Proteine sind für Katzen lebensnotwendig, da die Katze ein obligater Fleischfresser ist. Das bedeutet, dass Katzen ihre Lebensenergie aus Proteinen gewinnen. Ihr Stoffwechsel ist so auf Proteine eingestellt, dass sie ihre eigene Muskulatur verdauen, wenn sie nicht genügend Proteine über die Nahrung aufnehmen. Mit der Proteinverdauung entstehen permanent urämische Toxine. Nach der Aufnahme von Nahrungsproteinen wird Tryptophan von der Darmmikrobiota in Indol gespalten, und zwar hauptsächlich im distalen Dickdarm, wo ein höherer pH-Wert eine optimale Enzymaktivität begünstigt. Es gibt mehr als 85 Bakterienarten, die Indol bilden. Ebenso werden die Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin durch unterschiedliche Darmbakterien der Darmmikroben zu p-Kresol abgebaut. Indol und p-Kresol sind Vorstufen für die urämischen Toxine Indoxylsulfat bzw. para-Kresylsulfat, die jedoch erst in der Leber gebildet werden.

Dazu gelangen Indol und p-Kresol aus dem Darm zur Leber. Nach dem Umbau in der Leber werden die beiden urämischen Toxine zu den Nieren transportiert, wo sie üblicherweise problemlos mit dem Urin ausgeschieden werden.

Urämische Toxine sind seit Langem für die hohe Sterblichkeitsrate bei nierenkranken Menschen bekannt. Seit einigen Jahren wird dieser Zusammenhang auch in der Katzenmedizin gesehen. Urämische Toxine sind für die Urämie (= Anhäufung von Stoffwechselendprodukten, die normalerweise von der Niere ausgeschieden werden) bei der Chronischen Nierenerkrankung mitverantwortlich, die mit klinischen Symptomen einhergeht. Indoxylsulfat und para-Kresylsulfat führen zu weiteren Nierenschädigungen durch Nephronenverluste und tragen dadurch zum Fortschreiten der CNE bei.

Darm-Nieren-Achse

Bei der Chronischen Nierenerkrankung können die entstehenden urämischen Toxine nicht ausreichend ausgeschieden werden und stauen sich ins Blut zurück. Vom Blut aus gelangen sie in unterschiedliche Organsysteme und führen hier zu Schäden. Davon betroffen sind auch die Nieren.

Die Darm-Nieren-Achse beschreibt die Auswirkungen der Darmgesundheit auf die Nierengesundheit. Ein wichtiger Bestandteil der Darm-Nieren-Achse ist Indoxylsulfat. Es staut sich bei der CNE zurück ins Blut, da die Nieren nicht mehr in der Lage sind, ausreichende Mengen dieses Urämietoxins auszuscheiden. An den Nieren führt Indoxylsulfat dazu, dass entzündliche Prozesse und vermehrte Bindegewebsbildung (Nierenfibrose) der Nephronen auftreten, wodurch diese zerstört werden. Durch diese Nierenschädigung begünstigt Indoxylsulfat das Fortschreiten der Chronischen Nierenerkrankung (CNE).

Indoxylsulfat als zentraler Einflussfaktor der Darm-Nieren-Achse
Indoxylsulfat als zentraler Einflussfaktor der Darm-Nieren-Achse

Auf der anderen Seite bewirken Indoxylsulfat und para-Kresylsulfat eine Verschiebung der Darmbakterien, so dass das natürliche Darmmikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät. Es kommt zu einer Dysbiose, einem Ungleichgewicht der Darmbakterien mit negativen Folgen für den Darm. Dabei wird die Versorgung der Darmzellen mit ausreichend kurzkettigen Fettsäuren beeinträchtigt, die üblicherweise durch die gesunden Darmbakterien gebildet werden. Die Verbindung der Darmzellen untereinander (tight junctions) wird empfindlich gestört, so dass die Darmbarriere einbricht und Urämie- und weitere Toxine vermehrt durch die Darmwand gelangen können. Zusätzlich werden durch Indoxylsulfat gerade solche Bakterien in ihrem Wachstum gefördert, die Indol und p-Kresol entstehen lassen, so dass noch mehr urämische Toxine gebildet werden. Diese zusätzlichen Mengen an Indoxylsulfat bzw. para-Kresylsulfat können durch die chronisch kranken Nieren jedoch nicht mehr ausgeschieden werden, so dass ein Teufelskreis entsteht.

Studien konnten nachweisen, dass die Konzentration an Indoxylsulfat bereits ab dem IRIS-Stadium 2 ansteigt und mit jedem IRIS-Stadium auch die Indoxylsulfat-Konzentration im Blut exponentiell zunimmt.

Schadwirkungen urämischer Toxine

Mit erhöhten Konzentrationen an urämischen Toxinen wie Indoxylsulfat treten auch Schadwirkungen an anderen Organen auf, die meist mit klinischen Symptomen einhergehen.

Am Herzkreislaufsystem führen Indoxylsulfat und para-Kresylsulfat zu Entzündungen von Gefäßen und Herzbeutel. Es kann zu Aortenverkalkungen kommen. Urämische Toxine sind auch an der Blutdruckerhöhung beteiligt.

Dysbiose erhöht die Produktion von Indoxylsulfat
Dysbiose erhöht die Produktion von Indoxylsulfat

Indoxylsulfat reduziert die Produktion von Erythropoetin und damit der Bildung der Roten Blutkörperchen. Die Überlebenszeit der Roten Blutkörperchen wird zudem durch Indoxylsulfat verkürzt. Dies trägt zur Anämie (Blutarmut) bei der CNE bei.

Urämische Toxine wie Indoxylsulfat können Diabetes fördern.

Im Gehirn bewirken urämische Toxine, dass Mattigkeit, Müdigkeit und Verhaltensänderungen auftreten, die fast wie eine Demenz erscheinen (Urämische Enzephalopathie). Sinkt der Blut-Spiegel an Indoxylsulfat so war in einer Studie dieser Effekt umkehrbar. Es können auch komatöse Zustände auftreten, die dann meist das nahende Ende ankündigen.

P-Kresylsulfat  fördert eine Infektanfälligkeit durch eine Beeinflussung des Immunsystems.

Am Knochen unterstützt Indoxylsulfat die Freisetzung von Phosphat und damit den Hyperparathyreoidismus, auch über eine Förderung von Parathormon und ist somit an der Mineral- und Knochenstoffwechselstörung (MBD = mineral and bone disorder) im Rahmen der CNE beteiligt.

In der Muskulatur bewirkt Indoxylsulfat einen Muskelrückgang, der auch Muskelatrophie genannt wird. Das führt auch zur Muskelschwäche, kann Zittern und Krämpfe verursachen.

Urämische Toxine können in Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes eingelagert werden und dann zu einem Mundgeruch bei Katzen führen. Das kann das Fressen beeinträchtigen. Es kann zudem durch die Einlagerung in Magen- und Darmschleimhaut zu Geschwüren und daraus folgend zu Erbrechen, Übelkeit und Durchfall kommen. Verdauungsstörungen ergeben sich ebenfalls durch die Dysbiose im Darm. Das bedeutet, dass Indoxylsulfat und para-Kresylsulfat die natürliche Darmflora beeinträchtigen.

Dabei gibt der Indoxylsulfat-Blutspiegel nicht den Spiegel an Indoxylsulfat im Gewebe wider, auch wenn diese teilweise korrelieren. Der Gewebespiegel kann höher sein. Außerdem besteht eine hohe Variabilität im Indoxylsulfat-Blutspiegel, weil sich die Konzentrationen an Indoxylsulfat laufend zwischen den Geweben und dem Blutspiegel  verändern. Eine hohe Variabilität des Blutspiegels trifft besonders für niedrige Indoxylsulfat-Spiegel zu.

Weiterführende Inhalte

Diagnose

Der Nachweis urämischer Toxine ist heutzutage über den Blutspiegel möglich und häufig bereits Teil des Nierenprofils.

Therapie

Die Reduktion urämischer Toxine gelingt über unterschiedliche Ansätze, die alle über das Futter der Katze gegeben werden müssen.