Unschuldig schuldig

Zusammenfassung

  • Schuldgefühle können Katzenbesitzer schnell überwältigen
  • Die Ursachen für Schuldgefühle sind vielzählig
  • Viele Aspekte der Schuldgefühle sind „lösbar“

Unschuldig schuldig

Das Thema Schuldgefühle im Zusammenhang mit einer chronisch nierenkranken Katze ist ein besonderes. Der Katzenbesitzer hat als Betreuer der kranken Katze eine Vielzahl von Emotionen zu überstehen (s. meinen Blog-Artikel Caregiver Burden). Einige dieser Emotionen sind Schuldgefühle, die ihn an unterschiedlichen Punkten im Umgang mit seinem CNE-kranken Vierbeiner erwischen.

 

Schuldig für die Ursache der CNE

Es beginnt bereits mit der Diagnose der chronischen Nierenerkrankung (CNE). Der Katzenbesitzer hat seiner Katze gegenüber möglicherweise ein schlechtes Gewissen, weil er sich für die Ursache der Erkrankung verantwortlich fühlt. Es ist bekannt, dass Fütterung und CNE zusammenhängen. Hier können Schuldgefühle ansetzen. Er macht sich mitunter Vorwürfe, die Katze „falsch“ gefüttert und damit die Niereninsuffizienz verursacht zu haben. Wenn es so wäre, dass ein bestimmtes Futter oder eine bestimmte Form der Fütterung Nierenversagen versursacht, dann wäre dieses Futter oder diese Form der Fütterung (trocken, nass, BARF) schon längst vom Markt genommen worden. Der Zusammenhang zwischen CNE und Fütterung bezieht sich vor allem auf die Therapie, nicht aber auf die Ursache.

 

Schuldig für einen zu späten Zeitpunkt

Ein schlechtes Gewissen kann den Katzenbesitzer auch dahingehend beschleichen, weil er sich Vorwürfe macht, die Katze nicht frühzeitig zum Tierarzt gebracht zu haben. Hierzu kann angemerkt werden, dass die klinischen Symptome einer beginnenden CNE sehr gering und häufig so unspezifisch sind, dass man sie nicht erkennt. Zumeist werden sie für Alterserscheinungen gehalten. Lediglich ein jährlicher Check-up mit Blutuntersuchung der Nierenwerte (Kreatinin, Harnstoff, Phosphat, SDMA etc.) wären sinnvoll. Doch dazu muss die Katze zum Tierarzt und dort muss ihr Blut entnommen werden, was viele Katzen nicht mögen.

 

Ist die Katze zum Beispiel durch den Tierarztbesuch gestresst, fühlt sich der Besitzer oft schuldig.

Schuldig für den Stress der Katze

Daher sind auch die Tierarztbesuche mit Schuldgefühlen für den Katzenbesitzer generell verbunden. Die Katze muss in eine Box, Auto fahren, im Wartezimmer zusammen mit Hunden warten, kommt dann in einen sterilen Raum, wird Zwangsmaßnahmen unterworfen etc.. Das allein kann Stress für die Katze bedeuten. Dadurch fühlt sich der Katzenbesitzer schuldig.

 

Schuldgefühle sind emotionale Kosten

Negative Emotionen wie Schuldgefühle empfindet der Katzenbesitzer als emotionale Kosten und entscheidet sich letztendlich für eine Behandlung nur dann, wenn seine eigene Kosten-Nutzenbilanz ausgeglichen ist. Das klingt merkwürdig, weil es vielen Katzenbesitzern nicht bewusst ist und sie die Pflege als altruistisches Verhalten einstufen. Nobelpreisträger wie der Ökonom Gary Becker haben sich damit befasst, dass es wahrhaft selbstloses Handeln nicht gibt, sondern Menschen in jeder Lebenslage nutzenmaximierend handeln. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat die Wahrnehmung von positiven und negativen Emotionen mit Nutzen und Kosten in Zusammenhang gebracht. Letztendlich geht es am Ende immer um die wahrgenommene Nutzenbilanz des Katzenbesitzers (Voss, 2020) und seine Art und Weise, wie er Kosten und Nutzen empfindet (Kahnemann & Tversky, 1999). Es geht um die individuelle Wahrnehmung und Beurteilung des Katzenbesitzers. Ein Katzenbesitzer empfindet beispielsweise die Therapie seiner CNE-kranken Katze als positiv, ein anderer als negativ.

 

Die Kostenseite wächst

In die Nutzenbilanz des Katzenbesitzers fließen auf der Kostenseite beispielsweise ein:

  1. die tatsächlichen finanziellen Kosten einer Behandlung, die immens sein können. Jeder hat ein vorgegebenes Budget und es kommen bei Katzenbesitzern Schuldgefühle auf, wenn sie sich eine kostspielige Behandlung ihrer chronisch nierenkranken Katze nicht leisten können. Was zudem der Katzenbesitzer als teuer oder günstig empfindet, liegt immer im Auge des Betrachters und damit in der eigenen Wahrnehmung des Katzenbesitzers. Teuer empfundene Leistungen haben entsprechend also höhere Kosten für ihn.
  2. Zeitliche Kosten sind solche, die im Zusammenhang mit der Betreuung einer CNE-kranken Katze stehen. Wie etwa die Anfahrt, Warte- und Behandlungszeit beim Tierarzt, aber auch die täglichen Therapien daheim. Auch hier hat jeder Katzenbesitzer nur eine begrenztes Zeitbudget für seine Familie, Freunde, Freizeit. Dieses Budget kann durch die Betreuung einer chronisch nierenkranken Katze auf Kosten der eigenen Privatzeit oder auch Zeit für Familienmitglieder gehen. Schon dieser Zeitaspekt kann wiederum dazu führen, dass Katzenbesitzer sich schuldig fühlen, zu wenig Zeit für die kranke Katze zu haben (s. Wenn das Kümmern verkümmern lässt).
  3. Kognitive Kosten sind solche, die im Zusammenhang mit der Verarbeitung neuer Informationen stehen. Manche Katzenbesitzer empfinden es als sehr anstrengend, sich mit medizinischen Themen zu befassen. Gerade die CNE verlangt viel neues Wissen, weil die Nieren an so vielen Prozessen beteiligt sind. Das alles nachvollziehen und verstehen zu können, erfordert vom Katzenbesitzer einen Energieaufwand für die Auseinandersetzung mit diesen Informationen und kann ihn daher auch leicht überfordern. Es gibt allerdings auch Katzenbesitzer, die sich gerne mit diesen Themen befassen. Für sie steht dann die Auseinandersetzung mit der Fülle an Informationen eher auf der Nutzenseite. Auch, weil sie sich dann als kompetent empfinden und es ihnen mehr Selbstbewusstsein schenkt, wenn sie sich mit Experten über die Erkrankung ihrer Katze austauschen können.
  4. Emotionale Kosten umfassen alle negativen Emotionen, die der Katzenbesitzer im Zusammenhang mit der CNE seiner Katze empfindet. Eine der wichtigsten Emotionen ist dabei die Schuld. Schuldgefühle können enorme emotionale Belastungen für den Katzenbesitzer bedeuten und machen je nach Persönlichkeitstyp (z.B. empathisch) einen Großteil der Kostenseite aus. Sie können dabei so stark werden, dass sie die positiven Seiten einer Therapie (die Nutzenseite) überwiegen können. Schuldgefühle können beispielswiese auch auftreten, wenn die Katze das erworbene Diätfutter nicht fressen will. Auch während der CNE kann die Katze immer wieder Phasen der Appetitlosigkeit zeigen. Das lässt Katzenbesitzer verzweifeln. Der Katzenbesitzer fühlt sich unfähig und gleichzeitig schuldig.

 

Schuldgefühle als Treiber

Schuldgefühle sind ein starker Treiber für Menschen, ihr Verhalten dahingehend auszurichten, diese Schuldgefühle zu umgehen oder zu verringern. Das kann dazu führen, dass Katzenbesitzer sich gegen eine vielleicht lebensnotwendige Therapie der CNE-kranken Katze entscheiden. Grund ist, dass der Katzenbesitzer die positiven Seiten der Therapie nicht mehr als solche wahrnimmt, sondern seine negativen Emotionen überwiegen.

Negative Emotionen treten beim Katzenbesitzer auch dann auf, wenn die Interaktion mit seinem geliebten Vierbeiner sich ändert. Indem die Katze vielleicht auf ihn nicht mehr entsprechend reagiert und das gewohnte Feedback der Katze ausbleibt (Begrüßung, Beine umstreichen etc.)

 

Positive Nutzenbilanz

Sich dieser Schuldgefühle bewusst zu werden und auch die positiven Aspekte in ein stärkeres Licht zu rücken, kann dem Katzenbesitzer helfen, die CNE besser zu managen. Nutzenaspekte können sein, dass der Katzenbesitzer die besondere Pflege und Fürsorge für seine Katze als nutzenstiftend empfindet. Positiv kann sich zudem für den Katzenbesitzer die Verbesserung der Lebensqualität der Katze durch die Therapie darstellen. Die Verbesserung der Lebensqualität der Katze kann sich darin zeigen, dass sich die gewohnte und liebgewonnene Interaktion, der Umgang mit ihr, normalisiert und die Katze wieder fast die Alte ist. Natürlich ist der Wunsch der Lebensverlängerung durch die Therapie mit einem hohen Nutzen für den Katzenbesitzer verknüpft.

 

Schuldgefühle bewältigen

Wer es schafft, die CNE seiner Katze gut zu handhaben, kann die Zeit mit seinem geliebten Vierbeiner sinnvoll und nutzenstiftend für beide verbringen. Dem oben Gesagten kann entnommen werden, dass viele der Schuldgefühle „lösbar“ sind. Es ist nicht nur eine Frage der Bewertung und damit, wie der Katzenbesitzer bestimmte Situationen aus seiner Sicht wahrnimmt (z.B. kognitive Kosten oder Nutzen). Sondern es gibt auch Hinweise, die ihm helfen, seine negativen Emotionen zu kontrollieren oder aufzulösen.

Beispielsweise kann eine zeitliche Belastung durch die Inanspruchnahme von Hilfe befreundeter Katzenliebhaber den Katzenbesitzer entlasten. Entlastung und Abbau von Schuldgefühlen kann auch durch das Lesen von Informationen rund um die CNE erreicht werden, indem der Katzenbesitzer versteht, dass er beispielswiese nicht verantwortlich für viele Probleme ist (z.B. Verweigerung des Futters bei Appetitlosigkeit). Wenn der Katzenbesitzer es schafft, seine negativen Emotionen zu reduzieren, hat er eine Chance, die Nutzenseite überwiegen zu lassen. Das führt am Ende nicht nur zu (s)einer ausgeglichenen Nutzenbilanz, sondern kommt vor allem auch seiner Katze zugute.

 

 

Quellen:

  • Becker, G. S. (1993): Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens (2. ). Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).
  • Holbrook, M. B. (1997): Feline consumption: Ethography, felologies and unobtrusive participation in the life of a cat. In: European Journal of Marketing, (31) 3/4, S. 214–233.
  • Holbrook, M. B. (2008): Pets and people: Companions in commerce? In: Journal of Business Research (61), S. 546–552.
  • Kahnemann, D. / Tversky, A. (1979): Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, (47), 2, S. 263–291.
  • Voss, S. (2020): Kaufentscheidungen für Dritte: Analyse von Mechanismen des Rückkopplungsnutzens bei Konstruktionshoheit des Rückkopplungsnutzens beim Käufer, Dissertationen der Steinbeis-Hochschule Berlin.