Stadien

IRIS Stadien

Das sogenannte Staging ist die Zuordnung der Katze zu einem der vier IRIS Stadien und bestimmt damit den Schweregrad der chronischen Nierenerkrankung. Das Stadium steht auch im Zusammenhang mit der Prognose. Die IRIS empfiehlt je nach Stadium besondere Behandlungen und Vorgehensweisen. Zuerst jedoch muss die Diagnose „chronische Nierenerkrankung“ anhand der Empfehlungen der IRIS bestätigt werden.

Nach der Diagnosestellung erfolgt die Einteilung in die vier Hauptstadien anhand der Kreatinin-Konzentration im Blut (dazu muss die Katze vorher gefastet haben). Zudem wird die gleichzeitige Messung des SDMA-Wertes empfohlen. Ein stabiler Kreatinin- und SDMA-Wert (> 14 µg/dl) ist die Voraussetzung für das Staging. Der Plasma- bzw. Serum-Kreatinin-Spiegel wird dann als konstant angesehen, wenn die Schwankung zwischen mindestens zwei Messungen im Abstand von 2-4 Wochen weniger als 20 – 25 % beträgt. Auch sollten UP/C und Spezifisches Harngewicht stabil sein.

Daneben gibt je nach Blutdruck vier weitere Unterstadien und auf Basis des Vorliegens einer Proteinurie weitere 3 Unterstadien.

Mit Hilfe dieser Einteilung wird die Diagnose, die Kommunikation und die Therapie der chronischen Nierenerkrankung der Katze erleichtert.

Die Stadieneinteilung nach der Empfehlung der IRIS basiert auf dem Kreatinin-Blutspiegel. Zusätzlich wird zur Hilfestellung noch der SDMA-Wert bestimmt.

Gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Staging auf Basis des SDMA-Wertes und dem auf Basis des Kreatinin-Wertes, soll die Bemuskelung der Katze berücksichtigt werden und beide Werte nach etwa 14 Tagen wiederholt werden. Besteht weiterhin eine Diskrepanz zwischen beiden Werten, dann soll das höhere Stadium angenommen werden, für das eines der Werte, meist der SDMA-Wert spricht.

Stadium I

Im Stadium I liegt der Kreatinin-Blutspiegel meist noch im Normalbereich (< 140 μmol/l bzw. <1,6 mg/dl). SDMA liegt bei <18 μg/dl, aber in mehreren Proben immer > 14 μg/dl. Es fällt auf, dass die Katze 5 – 10 % Ihres Körpergewichtes verloren hat und das Spezifische Gewicht des Harns unterhalb des Schwellenwertes von 1.035 liegt. Das bedeutet, dass die Dichte des Harns abnimmt und die Nieren den Harn nicht mehr so stark konzentrieren können. Gerade weil der Kreatinin-Blutspiegel noch im Referenzbereich liegt, ist eine Diagnose des Stadiums I häufig schwierig. Der Hinweis auf das Vorliegen der CNE gibt im Normbereich ein 15 – 20 % iger Anstieg des individuellen Kreatinin-Spiegels der Katze. Um diesen individuellen Kreatinin-Blut-Spiegel zu kennen, ist es sinnvoll, Katzen ab 7 Jahren mindestens jährlich einem Nierencheck (Harn- und Blutuntersuchung) zu unterziehen. Katzen im Stadium I zeigen kaum klinische Symptome. Die Nierenleistung insgesamt ist zwar durch die abnehmende Anzahl an arbeitsfähigen Nephronen reduziert aber noch weit über 60 %, so dass die Einschränkungen größtenteils kompensiert werden können.

Bereits im Stadium I kann Bluthochdruck bei Katzen mit CNE auftreten. Meist ist dann auch Protein im Urin nachweisbar, da ein erhöhter Blutdruck dazu führt, dass Proteine ausgepresst werden, die üblicherweise im Blut verbleiben. Das wird Proteinurie genannt und mit dem UP/C im Urin bestimmt. Sowohl der Blutdruck als auch die Proteinurie werden von der IRIS in Unterstadien eingeteilt.

Im Stadium I fallen die klinischen Veränderungen kaum auf. Eventuell ist ein leicht vermehrter Durst mit einem leicht gesteigerten Trinkverhalten (Polydipsie) und entsprechend viel Urinabsatz (Polyurie) sichtbar. Anzeichen von Mattigkeit, erhöhter Schlafbedarf und Müdigkeit werden dem Alter der Katze zugeschrieben und daher selten erkannt. Der leichte Gewichtsverlust von 5 – 10 % wird nur dann sichtbar, wenn über einen längeren Zeitraum (am besten mehrere Jahre) das Gewicht der Katze mit einer entsprechend genauen Waage (keine haushaltsübliche Körpergewichtswaage für Menschen, sondern Babywaagen) notiert wurde.

CNE-auslösende Faktoren sollten in diesem Stadium ermittelt und – soweit möglich – beseitigt werden. Beim Einsatz von nierenschädigenden Medikamenten ist Vorsicht geboten. Sie sollten das Trinken Ihrer Katze sorgfältig überwachen und fördern.

Stadium II

Im Stadium II sind die Nieren nur noch etwa zu 1/3 arbeitsfähig, die Nierenleistung damit um 2/3 reduziert. Viele harnpflichtige Substanzen stauen sich im Blut zurück. Die reduzierte Ausscheidung zieht Blutbildveränderungen nach sich. Im zweiten Stadium fallen die leicht erhöhten Kreatinin-Blutspiegel auf. Kreatinin hat in diesem Stadium einen Wert von 140–250 μmol/l bzw. 1,6–2,8 mg/dl und kann damit auch noch an der oberen Normgrenze liegen. Der Anstieg von 15 – 20 % des individuellen Kreatinin-Wert an sich ist das Zeichen für die eingeschränkte Nierenfunktion und nicht die Überschreitung der vom Labor vorgegebenen Obergrenze des Normbereiches. Hier kann auch der SDMA-Wert helfen, der früher als der Kreatinin-Blutwert ansteigt. Im zweiten Stadium der CNE liegt die SDMA-Konzentration im Blut bei 18–25 μg/dl und ist damit ebenfalls leicht erhöht. Die Urinuntersuchung zeigt meist schon einen UP/C-Wert (urine protein-to-creatinin-ratio) über 0,4. Das entspricht laut IRIS einer Proteinurie (= Verlust von Proteinen über den Urin). Der Blutdruck muss kontrolliert und, falls er erhöht ist, mit geeigneten Medikamenten behandelt werden. Der Phosphatspiegel im Blut muss überwacht und durch die Verwendung von Phosphatbindern und/oder phosphatreduzierten Futtern (nierenfreundliche Diäten) stabil unter 1,5 mmol/l gehalten werden. Die Behandlung wird auf die Verlangsamung des Fortschreitens der CNE ausgerichtet. In diesem Stadium haben Katzen noch eine Überlebenschance von mehr als drei Jahren.

Es werden Abfallprodukte des Stoffwechsels und urämische Toxine zurückgestaut, so dass auch erste klinische Symptome deutlicher auftreten. Im Stadium II zeigt sich dann das vermehrte Trinkverhalten (=Polydipsie) schon deutlicher. Zusätzlich kann noch Erbrechen oder Durchfall auftreten. Fressunlust, Schläfrigkeit und Gewichtsverlust sind deutlicher ausgeprägt.

Stadium III

Im Stadium III sind die Blutwerte deutlich über dem Normbereich und die klinischen Symptome nehmen zu. Die Nierenleistung beträgt noch etwa ¼. Bereits 75 % der Nierenleistung sind unwiederbringlich verloren. Der Prozess der weiteren Nephronenzerstörung über erhöhten Blutdruck, angestautes Phosphat und angestaute urämische Toxine ist in vollem Gange. Das Fortschreiten der CNE ist deutlich sichtbar. Nicht nur das Blutbild zeigt deutliche Veränderungen, wie einen Anstieg des Kreatinin-Blutspiegels auf einen Wert von 251–440 μmol/l bzw. 2,9–5,0 mg/dl und des SDMA-Wertes im Blut von 26–38 μg/dl. Gerade die verringerte Ausscheidung von giftigen Abfallprodukten des Proteinstoffwechsels wie urämischer Toxine, und hier besonders Indoxylsulfat, haben einen erheblichen Einfluss auf die klinischen Symptome und das Fortschreiten der Erkrankung. Ebenso wird Phosphat zurückbehalten und reichert sich im Blut an. Es kommt zur Hyperphosphatämie. Dadurch wird ein Teufelskreis der weiteren Nierenzerstörung in Gang gesetzt, der über die Aktivierung des Parathormons zu einer Vielzahl von Problemen bei der CNE führt und ebenfalls klinische Symptome nach sich ziehen kann. Da die Nieren nicht mehr in der Lage sind, ausreichend Phosphat auszuscheiden, sollte die Phosphatzufuhr reduziert werden. In den meisten Fällen wird eine Kombination aus Phosphatbindern und phosphatreduziertem Futter (nierenfreundliche Diäten) empfohlen, um den Phosphatspiegel in diesem Stadium unter 1,6 mmol/l zu halten. Wenn das Blut azidotisch wird (metabolische Azidose – niedriger pH-Wert des Blutes), sollte dies behandelt werden, ebenso wie Bluthochdruck und Proteinurie. In diesem Stadium können Infusionen erforderlich sein, um die Flüssigkeitszufuhr sicherzustellen. Fällt der Hämatokrit unter 20 %, ist auch eine Behandlung der Anämie ratsam. Der Appetit der Katze, der aufgrund von Erbrechen, Übelkeit und Magenübersäuerung oft stark vermindert ist, sollte gegebenenfalls durch Medikamente angeregt werden, um das Energielevel der Katze aufrechtzuerhalten. Maßnahmen zur Unterstützung der Nieren zielen darauf ab, das Fortschreiten der CNE zu verlangsamen und die Lebensqualität durch Linderung der klinischen Symptome zu verbessern. Katzen im Stadium III haben noch eine Lebenserwartung von etwa zwei Jahren.

Die Urämie zeigt sich anhand der klinischen Symptome recht deutlich. Der Gewichtsverlust ist auffallend. Meist fressen die Katzen schlecht, haben Erbrechen und Fressunlust bis hin zur Appetitlosigkeit. Die Katze will ihren gesteigerten Durst teilweise an ungewöhnlichen Orten befriedigen und sucht Wasser in Blumenuntersetzern, teilweise in Toiletten. Das viele Urinieren (= Polyurie) kann dazu führen, dass die Katze unsauber wird, weil sie es evtl. nicht bis zum Katzenklo schafft. Katzen werden mäkeliger beim Futter, sind fressunlustig und zeigen verringerten Appetit. Es können Maulschleimhautveränderungen und Magen-Darm-Problematiken auftreten. Die Katze wirkt deutlich weniger aktiv. Meist zeigen die Katzen auch eine Anämie, die Schleimhäute werden blass bis milchig weiß-gelb. Die durchschnittliche Überlebenszeit liegt noch bis zu 2 Jahren.

Stadium IV

Im Stadium IV schließlich arbeiten die Nieren auf einem Minimum von unter 10 %. Der Prozess endet im tödlichen Nierenversagen. In dieser Phase zeigen die Katzen sehr deutliche Symptome. Die Blutwerte im Nierenprofil sind alle deutlich erhöht. Kreatinin liegt bei über 440 μmol/l bzw. bei über 5,0 mg/dl liegt. Der SDMA-Wert schießt auf Werte über 38 ug/dl. Aufgrund der geringen Nierenleistung können Abfall- und Giftstoffe nicht mehr ausreichend ausgeschieden werden und reichern sich im Blut an. Es kommt zu einer inneren Harnvergiftung, der sogenannten Urämie, die für die klinische Symptomatik verantwortlich ist.

Dieses letzte Stadium ist durch fortschreitende klinische Symptome gekennzeichnet, die entsprechend behandelt werden sollten. Der Schwerpunkt der Behandlung sollte auf der Linderung der klinischen Symptome wie starke Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Schläfrigkeit, Auszehrung und Dehydratation liegen. Im vierten Stadium wird die fortgeschrittene Abmagerung sehr deutlich.
Ein Defizit an Gesamtkörperwasser (= Dehydratation) kann durch übermäßigen Flüssigkeitsverlust, z. B. über die Nieren bei CNE, oder durch unzureichende Flüssigkeitsaufnahme verursacht werden. Die Katzen trocknen meist aus, weil die Nieren den Harn nicht mehr konzentrieren und  kaum noch Wasser zurückgewinnen können, so dass die Katze zu viel Wasser über die Nieren ausscheidet.
Bluthochdruck (wegen seiner schädlichen Auswirkungen auf das Sehvermögen, wie Netzhautablösung und sogar Erblindung) und Anämie müssen medikamentös behandelt werden, und die metabolische Azidose muss kontrolliert werden.  Durch den erhöhten Phosphatgehalt und die zurückbehaltenen urämischen Toxine treten zunehmend klinische Symptome auf wie etwa plantigrader Gang. Dabei geht die Katze auf den Sprunggelenken und zeigt Hinterhandschwäche. Die Interaktion der Katze mit ihrem Besitzer ist eingeschränkt, die Katze wirkt apathisch und kann aufgrund des hohen Blutdrucks auch erblinden. Man merkt der Katze an, dass es ihr nicht gut geht, denn ihre Lebensqualität ist deutlich eingeschränkt. Der Phosphatspiegel sollte mit phosphatreduziertem Futter und Phosphatbindern unter 1,9 mmol/l gehalten werden. Ziel ist es, die verbleibenden (durchschnittlich) ein bis drei Lebensmonate der Katze so angenehm wie möglich zu gestalten.

Viele Hunde und Katzen mit CNE durchlaufen alle vier Stadien, aber einige, insbesondere geriatrische Katzen, haben eine nicht oder nur minimal fortschreitende Nierenerkrankung. Bei diesen Patienten kann es vorkommen, dass sie in einem IRIS-Stadium verbleiben und eine andere Erkrankung das klinisch wichtigere und lebensbegrenzende Problem wird.

Unterstadien Proteinurie

Die Messungen auf Proteinurie mit Hilfe des Urin-Protein zu Kreatinin-Verhältnisses, auch UP/C genannt, sollten ebenfalls mit 10-14 tägigem Abstand wiederholt werden, um einen stabilen Zustand zu bestätigen. Einzelmessungen können täuschen, weil  die Proteinurie mehrere Ursachen haben und beispielsweise bei entzündlichen Veränderungen der Niere, Blase oder der Harnleiter auftreten kann. Daher müssen bei Vorliegen einer Proteinurie weitere Laboruntersuchungen von Urin- und Blut die Ursachen der Proteinurie abklären.

Etwa 20 % der Katzen mit CNE entwickeln eine Proteinurie. Die Proteinurie ist ebenso wie auch nachfolgend der Bluthochdruck am Fortschreiten der Nierenzerstörung beteiligt und muss daher behandelt werden.

Bluthochdruck und Proteinurie hängen zusammen.

Meist ist an den hohen Blutdruck auch der Proteinverlust (Proteinurie) gekoppelt. Proteine verbleiben üblicherweise im Blut und werden nicht filtriert. Bei gesteigertem Filtrationsdruck, also bei Bluthochdruck gelangen aber zunehmend mehr Proteine in den Urin. Geschieht dies bei einer normalen Niere, werden die Proteine größtenteils wieder zurückgewonnen im Nephron. Bei einer geschädigten Niere passiert dies jedoch nicht in ausreichendem Maße.

Die CNE kann anhand des UPC-Wertes in drei Unterstadien eingeteilt werden.

Unterstadien auf Basis des Blutdruckes

Der Blutdruck hat einen wesentlichen Anteil an dem Fortschreiten der Erkrankung aber auch an den klinischen Symptomen. Da die Nieren an der Regulierung des Blutdruckes beteiligt sind, kommt es auch hier zu Störungen, wenn zunehmend Nephrone verlorengehen. Die Folge ist ein Bluthochdruck. Dieser ist anfänglich noch eine Kompensation für die verringerte Nierenleistung. Wenn weniger filtriert werden kann, weil Nephrone fehlen, führt ein gesteigerter Blutdruck zu einem stärkeren Filtrationsdruck, so dass damit eine verringerte Nierenleistung anfänglich noch kompensiert werden kann. Der erhöhte Blutdruck führt jedoch zu einer Überlastung der noch verbleibenden Nephrone, die dadurch zerstört werden. Es entsteht ein Teufelskreis aus Kompensation und Überlastung und weiterer Nephronenzerstörung.

Zusätzlich hat ein gesteigerter Blutdruck auch Auswirkungen auf andere Organe, die klinische Symptome zur Folge haben. Beispielsweise kann Bluthochdruck zu einer Netzhautablösung mit der Folge der Erblindung der Katze führen. Katzen mit Bluthochdruck zeigen häufig erweiterte Pupillen, Nickhautvorfall oder pressen ihren Kopf an Gegenstände. Im Gehirn kann Bluthochdruck die Gefahr von Schlaganfällen erhöhen.

Die CNE der Katze kann anhand des Blutdrucks in vier Unterstadien eingeteilt werden.

Ab einem moderaten Bluthochdruck wird eine blutdrucksenkende Therapie empfohlen, wenn Organschäden z.B. am Auge zu erwarten sind. Bei starkem Bluthochdruck ist in jedem Fall eine medikamentöse Blutdrucksenkung angezeigt. Das Behandlungsziel ist ein systolischer Blutdruck im Bereich von 150 – 160 mm Hg. Im Stadium IV kann der Zielblutdruck noch etwas höher liegen, weil der Blutdruck den Filtrationsdruck darstellt und die minimal arbeitende Niere bei Blutdruckabfall schneller zum tödlichen Nierenversagen übergeht. Es ist daher auch möglich, dass unter dem Blutdrucksenkendem Medikament die Blutwerte für Kreatinin, Harnstoff und SDMA ansteigen.