Therapieziel
In diesem Kapitel geht es darum, ein grundsätzliches Verständnis für die Behandlung der chronischen Nierenerkrankung bei Katzen zu bekommen und dann die Therapieempfehlungen der International Renal Interest Society (IRIS) je nach Stadium vorzustellen.
Das Therapieziel bei der CNE ist, das Leben der Katze bei guter Lebensqualität zu verlängern. Im Einzelnen bedeutet dies:
- Die Ursache der CNE herauszufinden und zu beseitigen bzw. zu behandeln, soweit das möglich ist.
- Die Nierenfunktion zu stabilisieren und das Fortschreiten zu verlangsamen, um das Leben der Katze zu verlängern.
- Die mit der CNE einhergehenden Begleiterkrankungen bzw. Symptomatiken (klinischen Symptome) zu verbessern, um die Lebensqualität der Katze zu verbessern.
Die Abklärung und das Abstellen der CNE-Ursachen kann eine Herausforderung sein und wird in vielen Fällen nicht gelingen. Daher ist es hier eher notwendig, beim Einsatz von Medikamenten darauf zu achten, dass diese nicht nierenschädigend sind wie dies bei einigen Schmerzmitteln, Blutdrucksenkern, Antibiotika und Narkosen der Fall sein kann.
Je fortgeschrittener die CNE ist, desto mehr steht die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund. Durch die ansteigende Anzahl und Schwere der klinischen Symptome liegt hier der Schwerpunkt in den späten Stadien.
Die Teufelskreise der Nierenzerstörung führen dazu, dass die Niere weitere funktionsfähige NephroneNephrone sind die Filtereinheiten der Nieren.... verliert, so dass die Nierenleistung immer weiter sinkt. Das Stoppen dieser Teufelskreise ist zwar nicht möglich, aber eine Verlangsamung kann erzielt werden, um das Leben der Katze zu verlängern.
Phosphatreduktion
Aufgrund der eingeschränkten Nierenleistung, verbleibt zu viel Phosphat im Körper und führt zu einem Phosphatüberschuss, der zusammen mit einer hormonellen Entgleisung zu einem vermehrten Knochenabbau führt. Dabei werden Kalzium und Phosphat aus dem Knochen abgebaut. Überschüssiges Phosphat wird zusammen mit Kalzium dann in den Nieren eingelagert, was zu einer Nierenverkalkung führt, die die Anzahl funktionierender Nephrone weiter senkt. Damit schreitet die chronische Nierenerkrankung weiter voran.
Phosphatreduktion ist daher bei der CNE eine entscheidende Maßnahme. Der Therapiebeginn richtet sich in den frühen IRIS-Stadien nach dem FGF-23-Wert, in den späten IRIS-Stadien nach dem Phosphat-Blutwert (s.u.)
Da Katzen Phosphat über das Futter aufnehmen, ist hier ein Ansatz, Phosphat zu reduzieren. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können.
A. Nierendiäten enthalten weniger Phosphat als Standardfutter. Hier wird durch den Austausch von phosphatreichen Proteinen tierischen Ursprungs wie Muskelfleisch und Innereien gegen pflanzliche Proteine (z.B. Weizengluten) eine Phosphatreduktion erreicht. Pflanzliche Proteine enthalten weniger verdauliches Phosphat für die Katze. Gleichzeitig sind die meisten Nierendiäten auch proteinreduziert, so dass dadurch noch weniger Phosphate im Futter enthalten sind. Vorsicht ist geboten bei Produkten- auch Snacks, die Zusatzstoffe enthalten, die als Geschmacksverstärker (z.B. Natriumdiphosphat) dienen. Hier können recht viele Phosphate in das Futter gelangen, ohne dass diese Zusatzstoffe deklariert werden müssen.
Der Austausch von tierischen Proteinen in pflanzliche Proteine ist nicht für alle Katzen gleich schmackhaft. Katzen als obligate Fleischfresser mögen den Geruch tierischer Eiweiße und müssen daher auf manche Nierendiäten recht vorsichtig umgestellt werden.
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Nierendiäten, so dass es gut wäre, hier schon einmal zu testen, welche die eigene Katze gerne frisst. Viele Seniordiäten sind bereits phosphatreduziert.
Extrem phosphat-reduzierte Nierendiäten sind für die Katze nahezu ungenießbar, weil Protein weiter reduziert werden müsste. Daher ist in späteren IRIS-Stadien die Kombination von Nierendiät und Phosphatbinder meist unerlässlich.
B. Phosphatbinder sind Stoffe, die im Darm Phosphat aufnehmen und dann mit dem Kot ausscheiden. Zugelassen für den Einsatz bei der CNE-Katze ist in der EU bislang nur der Wirkstoff Lanthancarbonat.
Lanthancarbonat bildet zusammen mit Phosphat aus dem Futter im Magen und Darm unlösliche Komplexe, die dann mit dem Kot ausgeschieden werden. Dadurch kann Phosphat nicht ins Blut aufgenommen werden.
Es ist sinnvoll, Phosphatbinder um oder mit den Mahlzeiten direkt über das Futter zu geben. Erhält die Katze mehrere Mahlzeiten pro Tag, macht es Sinn, die Phosphatbinder-Tagesdosis auf die Anzahl an Mahlzeiten aufzuteilen.
Im Gegensatz zu Nierendiäten kann Lanthancarbonat grundsätzlich so dosiert werden, wie notwendig, um den Phosphat-Blutspiegel zu senken. Nierendiäten kommen in der Regel in den späteren IRIS-Stadien mit der Möglichkeit zur Phosphatsenkung an Grenzen, so dass dann zusätzlich zu Nierendiäten Phosphatbinder gegeben werden müssen bzw. gerade auch dann, wenn die Katze ihre Nierendiät nicht vollständig frisst, sondern auf anderes Futter zurückgegriffen werden muss.
Da alle phosphatbindenden Mittel die Aufnahme von Arzneimitteln unterschiedlich stark einschränken können, ist es ratsam, Arzneimittel 1 Stunde vor oder 3 Stunden nach der Gabe eines Phosphatbinders zu verabreichen.
Phosphatbindende Mittel, die Kalzium-Carbonat enthalten, sind bei der CNE-Katze mit Vorsicht einzusetzen, da sie die Verkalkungstendenz erhöhen können. Meist enthalten sie noch Chitosan, welches unspezifisch auch Arzneimittel, Fette, Enzyme, Zellen, wichtige Nahrungsbestandteile und vieles mehr binden kann. Die Produkte auf Kalzium-Carbonat-Basis gibt es seit über 20 Jahren. Solange es keinen zugelassenen Phosphatbinder gab, konnten nur sie eingesetzt werden. Dennoch sind sie nicht für den Einsatz bei der CNE entsprechend geprüft (Wirksamkeit- und Toxizitätsstudien) und zugelassen, sondern dürfen eigentlich nur bei gesunden Katzen eingesetzt werden. Lanthancarbonat zeigte in Studien mit 10-facher Überdosierung keine schädlichen Auswirkungen.
Empfehlungen der IRIS zum Phosphat-Wert je Stadium & FGF-23- Blutkonzentration
Im Einzelnen sieht die IRIS eine Phosphatsenkung vor, wenn die folgenden Serum-Phosphat-Werte je Stadium überschritten werden bzw. wenn der FGF-23-Wert gerade in den frühen Stadien über 400 pg/ml liegt.
Proteinreduktion
Da die urämischen Toxine möglichst reduziert werden sollen, versucht man, dies durch eine Verringerung des Proteinanteils im Futter zu erreichen. Aus den Proteinen werden im Darm durch Darmbakterienauch Darmflora genannt. Beschreibt die Gesamtheit aller Mikroorganismen, welche den Darm besiedeln. Es umfasst Bakterien, Einzeller, Archaeen, Pilze und Viren.... die Vorstufen urämischer Toxine gebildet, die dann aufgenommen und in der Leber in die eigentlichen urämischen Toxine umgewandelt werden. Diese müssen dann von den Nieren ausgeschieden werden. Die Reduktion von Futterproteinen ist jedoch nicht unumstritten, da Katzen auf Proteine als Energiequelle angewiesen sind (> siehe: Katze als obligate Fleischfresser). Besser wäre es, die Auslöser der UrämieUrämie bedeutet: Urin im Blut und ist die Folge des Anstieges harnpflichtiger Substanzen im Blut, die durch eine verringerte Nierenleistung (glomeruläre Filtrationsleistung) bei chronischer Nierenerkrankung nicht mehr ausreichend ausgeschieden werden können und sich deswegen im Blut anreichern. Es kommt zu einer Harnvergiftung durch urämische Toxine,... (= innere Vergiftung durch Anreicherung urämischer Giftstoffe im Blut) und damit der klinischen Symptome bereits als Vorstufen im Darm zu beseitigen. Grundsätzlich ist es natürlich auch für die Nierenfunktion besser, wenn weniger harnpflichtige Stoffe ausgeschieden werden müssen, was durch eine Reduzierung der urämischen Toxine unterstützt wird z. B. in Form einer oralen Dialyse.
Reduzierung des Blutdrucks
Die Nieren sind Organe, die ihren Blutdruck selbst regulieren können (sogenannte Autoregulation der Nierendurchblutung). Dazu haben sie vielfältige Mechanismen, die sie dabei unterstützen. Die Filtrationsleistung der einzelnen Nephrone ist von dem Blutdruck abhängig. Bei steigendem Blutdruck wird die Filtrationsleistung erhöht. Allerdings kann ein anhaltend hoher Blutdruck auch zu einer Nierenschädigung führen. Es kommt zu einer Drucküberlastung und zu einer Verhärtung der Gefäße (sogenannte SklerosierungVerhärtung von Organen und Geweben durch eine Zunahme an Bindegewebe. Eine Sklerosierung macht Gewebe und Organe weniger elastisch....: Verhärtung der Gefäße durch Vermehrung von Bindegewebe), da schützende Stoffe fehlen. Dies führt zu fortschreitenden Schäden im Gefäßsystem der Nephrone und schließlich zu deren Untergang. Bluthochdruck tritt bei etwa 20 % der CNE-Katzen im Frühstadium auf. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass diese Zahl tatsächlich deutlich höher liegt.
Ein erhöhter Blutdruck kann die Ursache für eine Vielzahl klinischer Symptome sein: Es kann zu zentralnervösen Störungen wie Anfällen, Krämpfen, Lethargie, aber auch zu Schlaganfall, Schwierigkeiten beim Gehen und zu Sehstörungen kommen – bis hin zum Erblinden durch eine Netzhautablösung (Retinaablösung) .
Durch den Bluthochdruck werden zudem vermehrt Proteine ausgefiltert, die nicht mehr rückresorbiert werden können, weshalb es zu einem Auftreten von Proteinen im Harn und damit zur ProteinurieEiweißverlust über den Urin. Physiologischerweise wird nur eine sehr geringe Menge Eiweiß über den Harn ausgeschieden. Diese Menge kann bei der chronischen Nierenerkrankung erhöht sein. Beim Vorliegen von Bluthochdruck können vermehrt Proteine im Nephron ausgepresst werden, die üblicherweise nicht ausgefiltert werden würden. Zudem können diese... kommt. Die Reduzierung des Blutdruckes und der Proteinurie führt zu einer Verlangsamung des Verlaufs der CNE.
Reduzierung der Proteinurie
Beides kann zusammen geschehen, da die Proteinurie zumeist durch den Bluthochdruck bedingt ist (es muss aber abgeklärt werden, dass die Proteinurie wirklich durch die Nieren verursacht wird): Dazu gibt es spezielle Medikamente, die der Katze über das Futter als Tablette oder als Suspension verabreicht werden.
Reduktion der individuellen klinischen Symptome
Die Symptome sind von Katze zu Katze unterschiedlich und müssen dementsprechend auch individuell therapiert werden. Mit der Reduzierung der urämischen Toxine und des Bluthochdruckes bessern sich viele der Symptome auch von allein.
Ganz wichtig: Die Katze sollte trotz Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit gut fressen, um bei Kräften zu bleiben. Dazu die Schmackhaftigkeit des Futters erhöhen (z. B. durch Anwärmen) und lieber mehrmals täglich kleine Portionen füttern. Falls der Appetit nicht steigt, helfen auch appetitanregende und/oder magensäurereduzierende Medikamente.
Damit die Katze viel trinkt, sollte ihr an verschiedenen Stellen frisches Wasser angeboten werden, ggf. als Frischwasserbrunnen oder auch mit wenigen Tropfen Thunfischöl angereichert, um die Akzeptanz der Katzen erhöhen.
Die Pflege einer Katze mit chronischer Nierenerkrankung kann sehr anstrengend sein. Unterstützung und Zuspruch von Gleichgesinnten zu suchen, kann hilfreich sein.