Aminosäure Dilemma

Die klinischen Symptome einer chronischen Nierenerkrankung bei Katzen (CNE) bleiben oftmals lange Zeit kaum wahrnehmbar. Muskelverlust ist dabei ein nicht zu vernachlässigender erster Hinweis.

Einhergehend mit dem Muskelverlust steht ein Verlust an Gewicht. Bereits ein Gewichtsverlust von 5% – das wären bei einer 5 kg Katze 250 g – ist ein ernstzunehmendes Anzeichen einer möglichen CNE. Mit steigendem Gewichtsverlust kommt es dann zur Auszehrung (Kachexie), bei der Aminosäuren aus dem Muskel als primäre Energiequelle gezogen werden. Dies tritt auf, wenn die Katze zu wenig Proteine und Kalorien zu sich nimmt.

Bereits ein Gewichtsverlust von 5% ist ein ernstzunehmendes Anzeichen einer möglichen Chronischen Nierenerkrankung.

Darüber hinaus kann bei der CNE eine Protein-Verdauungsstörung vorliegen. Dabei können weniger Proteine verdaut werden und eine verringerte Aminosäure-Absorption (= Aufnahme von Aminosäuren aus dem Darm) im Dünndarm entsteht. Eine beeinträchtigte Proteinverdauung führt dazu, dass gerade solche Bakterien im Darm wachsen, die die Aminosäuren zu Vorläufern von Urämietoxinen abbauen.

Das unterstreicht die Notwendigkeit eines guten Ernährungsmanagements bei chronisch nierenkranken Katzen.

Gestörtes Aminosäure-Profil

Aminosäuren werden benötigt, um Proteine herzustellen. Es gibt 20 proteinogene Aminosäuren, von denen 11 für Katzen essentiell sind. Im Gegensatz zu nicht-essentiellen  können essentielle Aminosäuren vom Organismus nicht synthetisiert werden und müssen über die Nahrung aufgenommen werden. Von Menschen, Hunden und Katzen mit Nierenerkrankungen, sogar solchen mit früher Erkrankung, wurde berichtet, dass sie ein gestörtes Aminosäuren-Profil im Blut aufweisen.

 

Tabelle der für die Katzen (semi) essentiellen und nicht essentiellen Aminosäuren

 

Aminosäuren können im Körper so verändert werden, dass daraus bioaktive Moleküle entstehen. Eine solche Aminosäure ist 3-Methylhistidin (3-MH), die von der Skelettmuskulatur gebildet wird. 3-MH wird beim Muskelabbau in das Blut freigesetzt und unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Eine frühere Studie berichtete, dass die 3-MH-Plasmakonzentrationen bei Katzen mit CNE höher waren als bei gesunden Kontrollkatzen. Ein Hinweis darauf, dass Katzen mit CNE Muskelmasse abbauen. Auch war die 3-MH-Plasmakonzentration bei CNE-Katzen mit schlechtem Appetit erhöht im Vergleich zu Katzen mit normalem Appetit. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Muskelmasse abgebaut wird, wenn (CNE-)Katzen schlecht fressen.

Marker der Gebrechlichkeit

Kreatinin im Blutplasma ist ein Marker für die Skelettmuskelmasse, aber auch der Hauptmarker für die CNE bei Katzen. Ein Anstieg von Kreatinin, der ein Zeichen für CNE darstellt, kann auch aus dem Muskelabbau entstehen, da Kreatinin aus dem Muskelstoffwechsel stammt. In der Humanmedizin stellt man daher die Konzentration von 3-MH zu der von Kreatinin ins Verhältnis (3-MH/Crea), um einen Biomarker für den Muskelproteinumsatz und somit eine Kriterium zur Gebrechlichkeit bei älteren Menschen zu haben. In der Veterinärmedizin wurde der potenzielle Zusammenhang zwischen der 3-MH-Konzentrationen und dem Muskelschwund bei Katzen bisher nicht untersucht.

 

CNE-Katzen fehlt essentielles

In der aktuell veröffentlichten Studie wurden die Aminosäure-Konzentrationen im Serum (= Plasma, bzw. Blut) und im Kot gemessen, um Aminosäure-Profile zwischen gesunden älteren Katzen mit solchen Katzen mit CNE zu vergleichen.

Dabei fanden die Autoren heraus, dass CNE-Katzen ein gestörtes Serum-Aminosäure-Profil haben: CNE-Katzen wiesen im Vergleich zu gesunden Katzen niedrigere Serumkonzentrationen von drei essentiellen (Phenylalanin, Threonin, Tryptophan) und zwei nicht essentiellen Aminosäuren (Serin, Tyrosin) auf. Veränderungen der Aminosäure-Profile im Serum traten bei Katzen im Frühstadium der Erkrankung (IRIS-Stadium 1 und 2) auf, und die stärkste Veränderung des Profils war bei Katzen mit CNE im Spätstadium (IRIS-Stadium 3 und 4) bei mehreren Aminosäuren (Asparaginsäure, β -Alanin, Citrullin, Leucin, Phenylalanin, Serin, Taurin, Tryptophan, Valin) zu finden. Dagegen fanden die Autoren keinen signifikanten Unterschied in den Aminosäure-Konzentrationen im Kot zwischen gesunden Katzen und CNE-Katzen.

 

CNE-Katzen zeigten in Studien ein gestörtes Serum-Aminosäure-Profil
CNE-Katzen zeigten in Studien ein gestörtes Serum-Aminosäure-Profil

 

Dies deutet darauf hin, dass die Protein-Verdauungsstörung und der nachfolgende Verlust von Aminosäuren im Kot möglicherweise nicht wesentlich zu dem gestörten Serum- Aminosäure-Profil bei CNE-Katzen beitragen. Andere mögliche Ursachen für Veränderungen des Aminosäure-Status im Blutplasma bei CNE-Katzen könnten eine unzureichende Energieaufnahme und ein erhöhter Proteinabbau sein – zusätzlich zu einem Aminosäure-Verlust im Urin als Folge einer eingeschränkten Nierenfunktion bei CNE.

Die Mehrheit der CNE-Katzen in dieser Studie hatte einen angemessenen Appetit. Da eine korrekte Kalorienberechnung jedoch nicht möglich war, ist eine unzureichende Aufnahme von Proteinen als mögliche Ursache für das gestörte Aminosäure-Profil der CNE-Katzen denkbar. Schließlich fanden die Autoren heraus, dass sich das 3-MH/Crea-Verhältnis zwischen gesunden und älteren Katzen mit und ohne Muskelverlust – anders als bei Menschen – nicht unterscheiden.

 

Mehrere Studien – vergleichbare Resultate

Eine frühere Studie sowie auch diese Studie wiesen mehrere vergleichbare Unterschiede in den Aminosäuren-Konzentrationen zwischen gesunden und CNE-Katzen auf. Beide Studien zeigten signifikant niedrigere Konzentrationen von Tryptophan und Tyrosin und höhere Konzentrationen von Citrullin bei CNE-Katzen im Vergleich zu gesunden Katzen.

Bei einigen Aminosäuren waren die Serumkonzentrationen bei CNE-Katzen höher als bei gesunden Katzen, einschließlich des essentiellen Aminosäure Taurin und der nicht essentiellen Aminosäuren Asparaginsäure, Citrullin und β-Alanin. Es wurde festgestellt, dass die zirkulierenden Konzentrationen von Taurin und Citrullin bei Katzen und Menschen mit Nierenfunktionsstörungen höher sind. Bei Citrullin wird dieser Befund auf eine reduzierte Umwandlung von Citrullin in Arginin durch die Niere zurückgeführt. Taurin ist eine essentielle Aminosäure bei Katzen, anders als bei Menschen und Hunden, und daher müssen Katzen diese mit der Nahrung aufnehmen. Höhere Serum-Taurin-Konzentrationen bei CNE-Katzen könnten eine Folge einer verringerten renalen Ausscheidung sein. Der Grund für höhere zirkulierende Konzentrationen von β-Alanin und Asparaginsäure bei CNE-Katzen ist unbekannt, ist jedoch denen bei nierenkranken Menschen vergleichbar.

Die Kot-Konzentrationen von Leucin, Phenylalanin, Lysin, Histidin, Methionin, Tyrosin und Tryptophan waren bei Menschen mit Niereninsuffizienz im Endstadium (ESRD), die eine Dialyse erhielten, im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen dramatisch erhöht.

Diese unverdauten Aminosäuren im Dickdarm von ESRD-Patienten können solche Darmbakterien begünstigen, die die wichtigsten aus dem Darm stammenden urämischen Toxine Indoxylsulfat (IS) und p-Kresolsulfat (pCS) herstellen. Bei nierenkranken Menschen, Katzen und Hunden kommt es zur Anhäufung von Indoxylsulfat bzw. p-Kresolsulfat. Die Anhäufung dieser urämischen Toxine ist eine Folge der reduzierten Ausscheidung bei Chronischer Nierenerkrankung. Dadurch stauen sich die urämischen Toxine ins Blut zurück.

Um euch in das Thema einzulesen, empfehle ich Euch meinen Blog-Beitrag Urämische Toxine.

 

Nierendiät – ein fauler Kompromiss

Die ausreichende Versorgung mit hochwertigen Proteinen bei gleichzeitiger Reduktion urämischer Toxine, die ja natürlicherweise aus Proteinen entstehen, ist eine Herausforderung bei der CNE-Katze. Nierendiäten sind aus diesem Grund proteinreduziert. Jedoch werden sie meist nicht ausreichend gefressen bzw. haben so unterschiedliche Proteingehalte, dass es möglicherweise zu einer Protein- und Kalorienunterversorgung kommt. Diese Situation kann dann zum Muskelabbau durch zu geringe Proteinaufnahme führen. Muskelabbau und Gewichtsverlust führen zur Schwächung der Katze und sind der Hauptgrund für den Tod bei CNE. Eine ausreichende Menge an hochwertigen Proteinen ist daher für die CNE-Katze notwendig.

Andererseits muss der Plasmaspiegel an urämischen Toxinen wie IS und pCS drastisch reduziert werden. Beide urämischen Toxine führen zu klinischen Symptomen und zum Fortschreiten der Nierenerkrankung.

Bei Menschen sind beide Urämietoxine mit erhöhter Sterblichkeit verbunden.

Um IS und pCS zu reduzieren gibt es mittlerweile einen speziellen Binder, der die von den Darmbakterien gebildeten urämischen Vorstufen im Darm aufnimmt. Damit werden die Vorstufen zusammen mit dem Binder über den Kot ausgeschieden, so dass daraus keine urämischen Toxine mehr entstehen können. Das senkt den Plasmaspiegel der urämischen Toxine und führt damit aus dem Dilemma, Protein im Katzenfutter reduzieren zu müssen.

Mehr über die Funktion sogenannter OSCA finden sich auch in meinem letzten Blog-Beitrag.

 

Quellen:

  • Summers, St. C.; Suchodolski, J.; Quimby, J.; Blake, A.; Keys, D. & Steiner, J.M. (2022): Serum and Fecal Amino Acid Profiles in Cats with Chronic Kidney Disease, Veterinary Science, 9, 84, S. 1–13. . https://doi.org/10.3390/vetsci9020084
  • Goldstein, R.E.; Marks, S.L.; Cowgill, L.D.; Kass, P.H.; Rogers, Q.R. Plasma amino acid profiles in cats with naturally acquired chronic renal failure. Am. J. Vet. Res. 1999, 60, 109–113.

Buch – CNE erklärt für Katzenfreunde